Bischof Bertram Meier zur Weltsynode:

„Hörschule der Kirche“

Ob in der Südsee, in den USA, bei den Katholiken Asiens oder in Europa: Die Augen der christlichen Welt sind nach Rom gerichtet, wo in wenigen Tagen die Weltsynode beginnt. Insbesondere die Erwartungen in Deutschland, wo viele Gläubige vehement auf Reformen drängen, sind groß. Weltkirchenbischof Bertram Meier, Oberhirte des Bistums Augsburg, erläutert im Interview Erwartungen und Hoffnungen.

Herr Bischof, Sie sind bei der am 4. Oktober beginnenden Versammlung als einer der drei gewählten deutschen Vertreter erstmals Teilnehmer einer Bischofssynode in Rom – dort haben Sie lange im Vatikan gearbeitet. Freuen Sie sich, nun ein paar Wochen dorthin zurückzukehren? Was bewegt Sie im Vorfeld am meisten?

Zunächst eine Klarstellung: Die Synode beginnt schon drei Tage früher mit einer ökumenischen Gebets­vigil und Besinnungstagen außerhalb von Rom. Mit dieser Ouvertüre intoniert Papst Franziskus die Synode als spirituelles Ereignis. Für mich ist die Synode gewissermaßen eine Rückkehr zu meinen Wurzeln.

Die Jahre in Rom, wo ich an der Päpstlichen Universität Gregoriana studierte, am deutsch-ungarischen Kolleg (Germanicum et Hungaricum) bei Jesuiten meine geistliche Formung erhielt und schließlich am Vatikan arbeitete, leben wieder auf. Diese Zeit hat mich geprägt, auch für mein Wirken als Bischof. Ich bin mir sicher, dass ich während der Synode „den Duft der großen, weiten Weltkirche“ täglich einatmen darf. Darauf bin ich gespannt. Ich freue mich.

Die Regelung, dass ein Viertel der annähernd 400 Synodalen nicht zu den Bischöfen gehört und die teilnehmenden Frauen ebenfalls Stimmrecht haben, wurde weltweit mit Interesse begleitet. Wie gravierend schätzen Sie die formalen Neuerungen ein?

Die Neuerungen zeigen, dass ­Synode nichts Statisches ist, sondern Dynamik hat. Synode ist der gemeinsame Weg, den die Kirche beschreiten will. Ganz neu sind die Änderungen allerdings nicht. Schon auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil gab es weitere Teilnehmer – darunter auch rund 25 Frauen –, die mit ihrer Kompetenz und ihrem theologischen Sachverstand eine wesentliche Rolle spielten und Beschlüsse maßgeblich mit vorbereitet haben. Ich erinnere an Joseph Ratzinger und Karl Rahner. 

Wenn jetzt auch Nicht-Bischöfe Stimmrecht haben, dann sollten wir nicht vergessen, dass die Synode kein Entscheidungsgremium ist. Der Papst lässt keinen Zweifel daran, dass er zwar möglichst viele Stimmen hören möchte, dann aber selbst abwägt und nach einer Phase geistlicher Unterscheidung Entscheidungen trifft. Es wird stark von ihm abhängen, was er sich von den Voten zu eigen macht.

Rechnen Sie auch in thematischer Hinsicht mit ganz neuen Aspekten? Nicht nur in Deutschland spielen Themen wie Zölibat, Frauenordination und kirchliche Sexual­moral eine große Rolle.

Wir müssen uns klarmachen, welche Aufgabe die Synode hat. Nach den Phasen auf Bistums- beziehungsweise Landesebene sowie auf den einzelnen Kontinenten wird es nun zwei Synodenversammlungen auf Weltebene geben. 2023 dient vor allem der Klärung, was denn Synodalität als Lebensform der Kirche bedeutet. 

Da stelle ich eine große Ungleichzeitigkeit zwischen Ländern und Kontinenten fest. Gerade der mittlerweile inflationär gebrauchte Begriff der Synodalität verlangt nach Konkretion. Ich wage die Behauptung: Die vier Wochen in Rom werden prall gefüllt sein, um sowohl im Plenum als auch in den Sprachgruppen eine gemeinsame Basis dafür auszuloten, was wir unter einer Kirche verstehen, die synodal lebt.

Übrigens geht es da weniger um Papiere als um das synodale Zeugnis, das sich auch in einer geistlichen Streitkultur niederschlägt. Denn Papier ist geduldig. Ich gehe davon aus, dass konkrete Themen sicher schon jetzt benannt und eingebracht werden, dass wir aber nicht so weit kommen, einzelne auch in Deutschland brennende Fragen eingehend zu beraten. Das wird dann eher 2024 geschehen.  

Sie selbst haben mehrfach dazu aufgefordert, auch in Bezug auf den „Synodalen Weg“, keinen Alleingang zu unternehmen und auf die Synode zu warten. Glauben Sie, dass die weltkirchliche Einbindung der speziell deutschen Anliegen gelingt?

Eine synodale Kirche lebt davon, dass sie wahrnimmt, wie unterschiedlich das Tempo ist, mit dem einzelne Ortskirchen in den verschiedenen Kontinenten unterwegs sind. Wir müssen Geduld üben. Dazu gehört auch das Aufeinander-Warten-Können, ohne uns gegenseitig zu überfordern. Die Kunst besteht darin, zu unterscheiden zwischen Themen, die zentral beraten und entschieden werden müssen, und Herausforderungen, die in einzelnen Ländern und Kulturen unterschiedlich angegangen und gelöst werden können. Da ist vieles offen. Da gibt es wohl kaum glatte Lösungen. 

Karl Rahner hat einst mit Blick auf das Konzil gefragt: „Ist es wirklich die Aufgabe, gewissermaßen das ganze Leben der Kirche kodifizieren zu wollen, über alles und jedes in der Kirche etwas zu sagen?“ Oberste Richtschnur sollte sein, die einzelnen Ortskirchen mit ihrer Vielfalt in der Einheit der Weltkirche zu halten.

Möglicherweise werden eher konservative Positionen aus Ländern wie den USA und Afrika auf liberalere westeuropäische Ansichten treffen. Hilft die vorgegebene Synodalität bei der Überwindung eines „Lagerdenkens“?

Von Paulus stammt der Satz: Der Glaube kommt vom Hören. Ich wandle den Satz leicht ab: Die syno­dale Kirche lebt vom Hören – Hören auf Gott, der ganz oben steht; Hören auf die anderen; Hören nach innen, wo die Stimme Gottes spricht: im Herzen und Gewissen. Wichtig wird sein, dass wir wohlwollend und zugleich neugierig hören, nicht die anderen aushören oder gar verhören. Ich fahre mit dem Vorsatz nach Rom, dass nicht nur meine eigenen Statements und Urteile bestätigt werden, sondern dass ich Neues erfahre, was mich reifer und reicher macht. Wichtig wird sein, dass wir die Synode als eine große Hörschule der Kirche sehen.

Ignatius von Loyola, der geistliche Vater von Papst Franziskus, hat den Jesuiten für das Konzil von Trient folgenden Tipp gegeben: „Ich wäre langsam im Sprechen, würde beim Zuhören zu lernen suchen und bliebe dabei innerlich ruhig, um die Gedanken, Gefühle und Absichten der Sprecher aufzufassen und hernach umso besser zu antworten beziehungsweise umso besser zu schweigen.“ Daran möchte ich mich halten.

Wird die Kirche nach Abschluss der Weltsynode 2024 eine andere sein als heute?

Ich bin kein Prophet, aber ich hoffe, dass die Kirche sich als Weggemeinschaft neu entdeckt und den Menschen zur Zeitgenossin wird. Bei den Spannungen, die uns innerkirchlich belasten, wünsche ich mir, dass wir uns als Volk Gottes verstehen, das bei allen Unterschieden an Charismen, Diensten und Ämtern den Auftrag hat, gemeinsam das Evangelium anzubieten. Ich träume vom Erwachen einer missionarischen Kirche.

Interview: Johannes Müller/Ulrich Schwab

20.09.2023 - Bischof , Bistum Augsburg , Interview